Worum geht’s

Gefangen an einem unbekannten Ort, schmiedet der Erzähler heimlich Fluchtpläne. Die Tatsache, ohne Erinnerungen zu sein, erschwert das Vorhaben. Doch der Drang, endlich auszubrechen aus diesem furchteinflößenden, schneeverwobenen Schloss, lässt ihn jedes Risiko eingehen. Und so gerät der Erzähler immer tiefer hinein in einen wirren Strudel aus rätselhaften Begegnungen und magischer Paranoia, die er spielerisch zu entschlüsseln hofft, was ihn letztlich zum Ursprung seiner Erinnerungen führt.

(Quelle) [Anzeige]

Meine Meinung zum Buch

Der Klappentext beschreibt Kryonium darüber hinaus als technoides Märchen und während die Covergestaltung einerseits klassische, analoge Elemente wie z.B. Schneeflocken, eine Schneekugel mit Holzsockel oder einen altmodischen Schlüssel zeigt, mutet der Rest mit Binärzahlen und den Leiterbahnen einer Platine eher digital an. Das Besondere dabei: Die Gestaltung lässt die Idee aufkommen, hinter dem Märchen befinde sich ein digitales Abbild. Oder ist es anders herum?

Kryonium ist in drei Teile aufgeteilt. Amnesie, Monotonie, 1,10,11,100,101,110,111,1000,1001 und einem ausführlichen Nachwort. Bereits an dieser Stelle hat mich das Buch gepackt. Und während ich die ersten Zeilen las, fühlte ich mich an einen Roman eines anderen Autoren erinnert, der – genau wie Kryonium – aus der Erzählerperspektive geschrieben ist und bei der eben jener Erzähler ohne Erinnerungen an sich oder seine Herkunft in einer Welt erwacht, die unwirklich zu sein scheint. Ich las von einem Schloss, dessen Bewohnern, strengen Regeln, seltsamen Räumen, einer merkwürdigen Aufgabe, der der Erzähler in einem immer gleichen Tagesrhythmus nachgeht, von Ungeheuern, Fabelwesen und Magie. Kurzum: Eine packende, wenngleich seltsame Geschichte, die einerseits einem logisch zwingendem Muster zu folgen schien und andererseits vollkommen surreal auf mich wirkte. Diese Geschichte erzählt von Verzweiflung, Mut, Freundschaft und die Bereitschaft, alles zu riskieren.

Die Widmung vor Beginn des ersten Teils ließ dabei bereits erahnen, dass es unterschiedliche Erzählstränge geben würde und tatsächlich katapultiert Kryonium Dich als Leser direkt zu Beginn des zweiten Teils in einen dieser Erzählstränge hinein, der sich anfühlt wie eine andere Welt, als die, durch die Du die ersten fast 100 Seiten gestolpert bist. Und irgendwie auch nicht. Und obwohl die Verwendung moderner (Fach-) Ausdrücke steil zunahm, konnte ich das Buch – vielleicht auch gerade deshalb – spätestens ab jetzt nicht mehr beiseitelegen!

Das Märchen-Setting im ersten Teil fühlt sich dabei noch fast an, als befinde sich der Erzähler in einem Spiel und versuche eine Quest nach der anderen zu meistern, was im zweiten Teil zunächst unterbrochen wird und dann nach einer Phase der Monotonie rasant an Fahrt zunimmt. Der dritte Teil hat mich persönlich umgehauen, dahin zurückgebracht, wo nicht nur ich, sondern vor allem auch der Protagonist hin zurückwollte, vielleicht sogar musste, und gleichzeitig durfte ich feststellen, dass ich entweder nicht aufmerksam genug gelesen hatte, oder es aber Elemente gab, die mit voller Absicht so geschickt nur angedeutet wurden, dass sie nur an mir vorbeigehen konnten.

Ich habe mir daher auch vorgenommen, das Buch noch mindestens ein zweites Mal zu lesen und das nicht zuletzt deshalb, weil es darin noch viel mehr als nur einen dreiköpfigen Affen zu entdecken gibt, sondern vorallem aus dem Grund, dass das Wissen um das Ende für mich den Anfang sogar noch interessanter macht.

Abschließend folgt noch ein Nachwort von Stephan Günzel, einem Philosophen und Medientheoretiker. Ich gebe zu, dass ich diesem Teil nicht mehr so viel Aufmerksamkeit gewidmet habe, wie dem Rest des Buches. Zum einen aufgrund der Tatsache, dass er nicht inhaltlich zur Geschichte beiträgt, sondern sich schwebend philosophisch damit auseinandersetzt. Ich fühlte mich nicht abgeholt, sondern aus dem Erleben der Geschichte mit Erklärungsmodellen förmlich herausgerissen.

Fazit

Beim Lesen meiner Rezension wird Dir aufgefallen sein, dass ich praktisch die ganze Zeit um den heißen Brei herumrede. Das liegt daran, dass es mir sehr schwer fällt, mehr auf den Inhalt einzugehen, ohne dabei zuviel zu verraten. Was mir allerdings nicht schwer fällt zu sagen, ist, dass es sich aus unterschiedlichsten Gründen heraus lohnt, Kryonium zu lesen. Die Geschichte ist witzig, intelligent, voller Andeutungen, hat einen tollen Humor – mit Ausnahme des Nachwortes – eine optimal ausbalancierte, philosophische Grundlinie und bewegt Dich gemeinsam mit dem Protagonisten mal sanft, mal wie auf einer Achterbahnfahrt durch ein sehr sensibles Thema. Dem ganzen eine fast schon therapeutische Motivation zu unterstellen, überlasse ich dabei anderen.

Ob gewollt oder nicht: Ein paar Elemente haben mir zu sehr verwirrt und das Nachwort hat – so interessant es inhaltlich sein mag – mein Erleben eher unangenehm unterbrochen. Das vorausgesagt, möchte ich Dir Kryonium mit sehr guten vier Sternen empfehlen und bin gespannt auf Deinen Kommentar zum Preisträger des deutschen Verlagspreises 2019!

[Anzeige]

Titel: Kryonium – Die Experimente der Erinnerung
Autor*in: Matthias A.K. Zimmermann
Verlag: KULTURVERLAG KADMOS
Erscheinungsdatum: 28. Oktober 2019
Format: Hardcover (324 Seiten)
ISBN: 978-3865994448
Preis: 19,90€

1 comment on “[Rezension] Kryonium – Die Experimente der Erinnerung von Matthias A.K. Zimmermann”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert