Vielleicht bist Du in der Erwartung hergekommen, Bilder und Hintergrundinfos zu dem Projekt zu bekommen, die Dich umhauen werden. Vielleicht bekommst Du die auch. Vielleicht aber nutze ich die Gelegenheit für einen kleinen Einschub, der Dir ein wenig mehr das Verständnis dafür vermittelt, wo meine Motivation zu so einem Projekt eigentlich herkommt.

Lass Dich überraschen!

Als großer Bewunderer von klassischen Flügeln löste die Idee, einen solchen selbst bauen zu können, einen wahren Begeisterungssturm in mir aus. Seit einiger Zeit besitze ich einen echten, akustischen Flügel und träume nicht erst seit dem davon, mich einfach mehr mit dessen Mechanik zu beschäftigen. Aber ich bin halt kein Klavierbauer. Dass dann jemand im Internet ein 3D Druck Modell veröffentlicht hat, das ein sog. Grand Piano originalgetreu und somit voll funktionsfähig abbildet, kam daher wie ein Schicksalsruf.

Veränderungen

Zu Beginn dieser Serie hatte ich davon berichtet, dass ich schon von Klein auf mit Instrumenten groß geworden bin und schon immer ein Faible für Tasteninstrumente hatte. Insbesondere die Faszination für die Mechanik in einem Klavier und vor allem: In einem Flügel hat mich immer angetrieben, mich mehr mit diesen Instrumenten zu beschäftigen.

Mein 100 Jahre alter Ritmüller Flügel

Die meisten Menschen würden sich an dieser Stelle damit zufriedenstellen, sich ein Klavier ins Wohnzimmer zu stellen und dann und wann die Klappe zu öffnen. Sie schauen sich an, wie hübsch sich alles darin bewegt und erfreuen sich der herrlich präzisen und anachronistisch analogen Mechanik, die dutzende und aber dutzende in Harmonie aufeinander abgestimmte, kleinste Teile perfekt in Bewegung versetzt, sobald sie auf Tasten drücken.

Und das ist großartig!

Mir genügt das aber nicht. Und während ich noch in den ersten Teilen dieser Serie davon sprach, dass einer der Gründe, sich mit diesem 3D-Druck Modell zu beschäftigen darin begründet liegt, dass ich mich nicht an die richtige Mechanik herantraue – in Sorge, sie zu beschädigen – hat sich in dieser Hinsicht in nur wenigen Wochen vieles verändert. Ich bin selbstsicherer geworden, habe unendlich viele Videos gesehen und da ich mir im Allgemeinen schon immer sehr viel selbst zugetraut habe, wurde es endlich Zeit damit, auch an den echten Flügel “Hand anzulegen”.

Doch zunächst einmal ein bisschen Geschichtsunterricht.

Geschichte

Als ich meinen Ritmüller Flügel bekam, fehlte bereits der vordere Belag einer Taste. Dagegen kann ich erst einmal wenig tun. Was aber ärgerlich ist: Vor ein paar Wochen hat sich der Belag einer anderen Taste gelöst. Interessant ist an dieser Stelle, dass ich von vorderen Belägen spreche. Falls Du Klaviaturen nur so kennst, dass auf den Ganztönen ein durchgehender, weißer Belag den sichtbaren Bereich der Taste komplett bedeckt, dann handelt es sich dabei i.d.R. um neuere Instrumente und/oder solche, die mit Kunststoff-Belegen erneuert wurden.

Früher war es der Standard, die weißen Tasten mit Plättchen aus Elfenbein zu belegen. Dabei handelt es sich um ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Klavierbaus und wer sich sehr für solche Instrumente interessiert, kommt nicht umhin auch zu verstehen, mit welchen Konsequenzen sie manchmal einhergehen. Das Verhältnis zwischen der Arbeit und den Materialkosten war dabei vermutlich in den Anfangszeiten eher angespannt. Daher war es kostspielig, die Klaviertasten mit Elfenbein-Auflagen zu versehen. Da es insbesondere im vorderen Teil gelegentlich zu Brüchen kommen kann, findest Du bei älteren Instrumente oft eine Aufteilung des Tastenbelags in einen vorderen und einen hinteren Teil vor.

Falls Reparaturen erforderlich waren, musste i.d.R. nur der vordere Teil ausgetauscht werden – das war deutlich günstiger. Wenn Du mehr über dieses Thema erfahren möchtest, empfehle ich Dir diesen aufschlussreichen Artikel.

Reparaturvorhaben

Nun ist die Sache die: Um mein Vorderplättchen wieder festzukleben, musste ich nicht nur Kleber auftragen und das Plättchen draufdrücken, nein, es brauchte auch etwas Anpressdruck und Zeit, so dass der Kleber aushärten konnte. Und ich habe schon ein paar Mal darauf hingewiesen: Ich bin ein absoluter Laie. Ich habe leider keinen Schraubstock (obwohl ich inzwischen oft einen hätte gebrauchen können…) und auch nicht die Art von Leim, die Klavierbauer in solchen Fällen verwenden. Daher gebe ich keine Tipps hinsichtlich des Klebers, den ich verwendet habe.

Nur so viel: Nichts desto trotz musste ich die Taste dazu ausbauen. Und das ist bei einem Flügel etwas aufwändiger als bei einem Klavier. Warum, das siehst Du gleich.

Tastenausbau

Tatsächlich hatte ich die Klaviatur schon einmal ausgebaut und wusste daher in etwa, wie ich an alles herankomme. Dieses Mal aber ging es darum, an eine einzelne Taste heranzukommen. Und dazu war etwas mehr erforderlich, als einfach nur die Klaviatur aus dem Flügel zu entfernen. Der Grund dafür, warum ich nun einen so ausführlichen Bericht darüber in meiner “Ich drucke mir einen Flügel” Serie schreibe ist der, dass ich Dir dabei ziemlich gut zeigen kann, wie authentisch dieses 3D-Modell konstruiert ist.

Los geht’s!

Um die Klaviatur auszubauen, müssen zunächst ein paar Teile entfernt werden. Namentlich sind das der Klavierdeckel (Fallboard), die Backen links und rechts (Cheeck-Blocks) und die Schlossleiste (Keyslip). Bei dem 3D-Modell sind nicht nur die Backen am Klavierboden festgeschraubt: Der Deckel ist daran aufgehängt, so dass nur alle drei Teile zusammen entfernt werden können:

Bei meinem Flügel kann der Deckel einfach nach oben hin abgenommen werden:

Klavierdeckel abnehmen

Die Backen sind dann lediglich von unten mit zwei Flügelschrauben befestigt:

Backen entfernen

Im Anschluss kann die Schlossleiste abgenommen werden. Im 3D-Modell ist sie verschraubt. Bei meinem Flügel wird sie lediglich mit Holzdübeln eingesetzt:

Quelle: Assembly Guide

Danach kann die Klaviatur vorsichtig nach vorne einfach herausgenommen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass sich auf der rechten Seite eine Feder befindet, die die Klaviatur an Ort und Stelle hält und auch wieder dahin zurückschiebt, nachdem man sie mit dem “Leisepedal” (das linke) etwas nach rechts verschoben hat. Beim Rausziehen der Klaviatur fühlt man daher einen leichten Widerstand. Im italienischen spricht man hier von einer “Una Corda”. Tolle Details – auch Historisches zu der Bezeichnung – findest Du auf dieser Website.

Hier siehst Du eine Gegenüberstellung zwischen dem 3D-Modell und meinem Flügel:

Einen weiteren, interessanten Hinweis findet man ebenfalls im Assembly Guide – und ohne den hätte ich nicht darauf geachtet, als ich die Klaviatur später wieder in den Flügel zurückgeschoben habe (und da die meisten Leser es statistisch nicht bis zum Ende dieses Artikels schaffen, erwähne ich das lieber gleich hier).

WICHTIG

Was ist der Grund dafür, dass Du das Sustain- (Halte-) Pedal drücken sollst, während Du die Klaviatur ins Gehäuse zurückschiebst? Nun, wenn Du Dich an Teil 1 dieser Serie erinnerst, dann weißt Du, dass das Haltepedal alle Dämpfer nach oben bewegt, so dass sie nicht mehr auf den Saiten aufliegen. Aber auch beim Spielen ohne Betätigung des Haltepedals werden die Dämpfer angehoben. Das geschieht durch die sog. Dämpferlöffel, die an der Dämpfermechanik befestigt sind am Ende der Hebegliedvorrichtung. Hier zur Erinnerung:

Quelle: Ratgeber (pianohaus.at)

Wenn Du nun also die Klaviatur zurück ins Gehäuse schiebst, kann es u.U. passieren, dass Du dabei aus Versehen Tasten drückst. Kommst Du in dem Moment an die Dämpferlöffel, könntest Du sie beschädigen, verbiegen oder sogar abbrechen. Also drückst Du einfach das Haltepedal, um sie alle gleichzeitig anzuheben und lässt es erst wieder los, sobald die Klaviatur zurück an ihrem Platz ist.

Ich habe versucht, zu dem Thema mal zwei Fotos von meinem Flügel zu machen; allerdings ist es nicht leicht, einen Blick auf den Vorgang zu erhaschen, da die Klaviatur dazu eingebaut sein muss und die restliche Mechanik die Sicht nahezu komplett versperrt.

Trotzdem hier ein Versuch:

Dämpfer in RuhestellungDämpfer bei gedrücktem Haltepedal

Aus dem Winkel nicht einfach zu erkennen, aber dennoch sichtbar: Der Dämpferlöffel wird leicht angehoben und ist somit nicht mehr im Weg wenn die Klaviatur ins Gehäuse zurückgeschoben wird.

Aus einem Forum, das sich intensiv mit Tasteninstrumenten beschäftigt, kam zusätzlich der Hinweis, dass der sog. “Halbgang” auch verstellt sein könnte. Der Begriff “Halbgang” beschreibt den Umstand, dass die Dämpfer i.d.R. so eingestellt sind, dass sie sich wieder auf die Saiten absenken, wenn die angeschlagene Taste den halben Weg zur Ausgangsposition zurückgelegt hat. Damit ist sichergestellt, dass der Ton nicht zu früh abgedämpft wird, aber halt auch nicht zu spät. Wenn nun aber dieser Halbgang verstellt wurde (um z.B. die individuellen Bedürfnisse beim Spielen des Instruments zu berücksichtigen), dann kann es trotz Drücken des Haltepedals zu Problemen kommen, wenn man die Klaviatur zurück ins Gehäuse schiebt.

So oder so gilt wie immer: Nichts forcieren, mit Gefühl arbeiten und im Zweifelsfall alles sehr genau in Augenschein nehmen.

Die Klaviatur

That being said: Hiermit präsentiere ich die Klaviatur meines 100 Jahre alten Ritmüller Flügels in seiner vollen Pracht:

Wenn Du genau darauf achtest, erkennst Du, dass das Vorderplättchen auf der Taste f”’ fehlt (oder F6). Von G7 will ich gar nicht sprechen, die Taste ist verloren.

Wie aber kommt man nun an die Taste heran?

Ausbau

Was Du auf diesem Bild nicht siehst: Ich habe da bereits eine Leiste entfernt, die etwa mittig über alle Tasten aufliegt. Ansonsten aber ist hier der Aufbau sehr schön mit dem des 3D-Modells vergleichbar:

Quelle: Assembly Guide

Der einfachste Weg also, um an die einzelnen Tasten heranzukommen, ist der, die Mechanik als Ganzes zu entfernen. Doch bevor ich das zeige, hier noch mal ein schöner Blick von der Seite auf die Hammermechanik im Vergleich

Du solltest die meisten Elemente wiedererkennen.

Während das 3D-Modell über drei Halterungen für die Mechanik verfügt, finden sich für die 88 Tasten meines Flügels derer fünf. Diese werden mit jeweils zwei Schrauben vom Klaviaturboden gelöst und dann kann die komplette Mechanik einfach abgenommen werden.

100 Jahre

Und in dem Moment zeigte sich das Alter meines Flügels in all seinen Variationen. Zum ersten Mal konnte ich in Augenschein nehmen, wie es um den Rahmen bestellt ist, in was für einem Zustand die Vorderdruckschreiben aus Filz und die Waagebalkenscheiben aus Papier sind und überhaupt…

Ja, die eine Taste ließ sich nun problemlos abnehmen und das Vorderplättchen wieder aufkleben:

Aber dabei konnte – und wollte – ich es nicht belassen. Doch sieh selbst:

Der Anblick, der sich mit bot, war ein Schock. 100 Jahre haben sichtbar ihre Spuren hinterlassen. Neben Dreck, Staub, Spinnenweben, Tannennadeln, Krümeln, klebrigen Resten von Flüssigkeiten und weiteren nicht identifizierbarem Kram könnte ich schwören, auch Vogelkot entdeckt zu haben. Hinzu kommt, dass der Flügel bei mir in einem recht dunklem Raum steht und ich somit nie wirklich darauf geachtet habe, wie die Fronten aussehen. Eine Mischung aus Fett, Dreck, Staub und Schweiß von Jahrzehnten haben sich hartnäckig darauf abgesetzt.

Einige Zeit später – und diverse Kapitel des Hörbuchs, das nebenbei lief, weiter – war ich endlich soweit zufrieden mit der “Restauration”:

Was meinst Du? Hat es sich gelohnt?

Kleine Tastenkunde

Um noch einmal zu zeigen, wie gut sich das 3D-Modell mit der Wirklichkeit vergleichen lässt, hier noch einmal eine Gegenüberstellung zu einer Taste:

Quelle: Assembly Guide

Erkennbare Unterschiede:

  • Der Tastenbelag ist beim 3D-Modell aus offensichtlichen Gründen “integriert”.
  • Beim 3D-Modell ist kein Blei zur Beschwerung eingelassen.
  • Das Waagebäckchen hat keine Aufnahme für die Tastengarnierung.
  • Der Fänger besteht aus einem Teil.
  • Das Foto zeigt die Taste von der rechten Seite, die schematische Darstellung von der linken…

Interessant ist der Punkt mit der sog. Tastengarnierung. Hier ein Bild meiner Taste von oben:

Tastengarnierung

Wie Du weißt, liegt die Taste auf zwei Stiften auf: Dem Waagebalkenstift und dem Vorderstift. Die Bohrung für ersteres siehst Du auf diesem Foto. Damit die Taste nun zum einen nicht wackelt, sich auch nicht nach links oder rechts bewegt, dabei aber trotzdem einfach spielbar ist, wippt sich nicht einfach so auf dem Waagebalken – und wird dabei von dem Stift gehalten – sondern hat zur Dämpfung entsprechendes Material eingelassen, dass zwar eng am Stift anliegt, aber dennoch die Beweglichkeit nicht einschränkt. So bleibt alles stabil und es kommt auch nicht zu etwaigen Störgeräuschen. Bei echten Klaviertasten gibt es verschiedene Materialien, die hier zum Einsatz kommen; meist handelt es sich dabei aber um eine Art von Filz. Dieser nutzt sich im Laufe der Zeit natürlich aufgrund der Reibung ab.

Ich weiß zwar um diese Dinge, mir ist aber auch bewusst, dass ich noch nicht über die erforderlichen Werkzeuge verfüge, um diese Garnituren selbst auszutauschen. Was die Filz-Druckscheiben oder andere Unterleger betrifft, hätte ich kein Problem, diese auszutauschen. Aber an die Garnituren wage ich mich noch nicht heran. Falls Du einmal sehen möchtest, wie Klavierbauer diese austauschen, empfehle ich Dir zwei Videos: Zum einen das Video von Piano Lang, das eindrucksvoll zeigt, wie Filz klassisch in die Tasten eingezogen wird und zum anderen das Video vom Klavieratelier, das einen modernen Weg mittels dafür entwickelter Fräsvorrichtung und weiterer Hilfsmittel zeigt.

Bei meinen Tasten habe ich es so belassen wie vorgefunden und dem Thema Filz-Druckscheiben und Filz im Allgemeinen werde ich mich ein andern Mal widmen.

Abschluß

So. Ich hoffe, Dir hat dieser Einblick gefallen. Mir hat die Wartung und Teil-Restauration viel Spaß gemacht und es spielt sich nun auch viel angenehmer auf dem Flügel, nachdem insbesondere die Tasten wieder sauber sind und ich auch nicht mehr darüber nachdenken muss, wie viel Staub ich aufwirbele. 😉

Auch fand ich es faszinierend, Vergleiche zwischen dem echten Flügel und dem 3D-Modell anzustellen. Insbesondere, sobald ich damit beginne, die Mechanik zusammenzubauen, werde ich sicher das ein oder andere Mal darauf zurückkommen.

Bis zum nächsten Mal!

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